von Hans Werner Büchel, gelernter Schriftsetzer und gegautschter »Jünger Gutenbergs«
Seit Gutenbergs Erfindungen in der Mitte des 15. Jahrhunderts arbeiteten alle anfangs Offizin genannten Buchdruckereien nach dem gleichen Prinzip: Der Handsetzer setzte in einem Winkelhaken Letter für Letter und Zeile für Zeile den im Manuskript vorgegebenen Text und fertigte anschließend eine den Vorstellungen des Auftraggebers entsprechende Druckform. Währenddessen bereiteten nebenan die Einfärber und Drucker alles für den erwarteten Druckauftrag vor. Die mächtige, raumfüllende Druckpresse wurde auf ihre Funktion überprüft. Das leicht angefeuchtete Papier bekam in Griffnähe seinen Platz, und die Druckerschwärze wurde noch einmal gut verrührt, bevor sie auf dem Farbstein aufgetragen und mit den Farbballen gleichmäßig verteilt wurde. Das alles geschah auf Weisung und unter der Aufsicht des mit anpackenden Meisters, der in der Regel zugleich auch der Inhaber der Offizin war. Sobald die erste Kolumne auf dem Fundament der Druckpresse stand, setzte ein sich über Stunden wiederholender Arbeitsrhythmus ein. Während der Einfärber mit den beiden Farbballen gleichmäßig die Druckerschwärze auf die Druckform aufbrachte, legte der Druckergeselle den Papierbogen in den Rahmen, klappte ihn zu und positionierte ihn direkt über der Druckform. Dann schob er den schlittenähnlichen Wagen unter den Tiegel, zog zwei oder drei Mal kräftig den Bengel der Spindel vor seine Brust, was den gleichmäßigen Kontakt des Papierbogens mit den eingefärbten Buchstabend der Kolumne zur Folge hatte. Damit war der eigentliche Druckvorgang abgeschlossen. Nun musste nur noch der Wagen herausgefahren, der Rahmen geöffnet und der fertige Druckbogen zum Trocknen aufgehängt werden. Dann begann das gesamte Prozedere von vorn.
Abb. 1: Dem Prinzip nach gleich: Gutenberg-Druckpresse (Nachbau) aus der Zeit um 1450 (links), Offizin mit Setzer, Drucker und Meister an einer Druckpresse 1520 (Mitte) und eine Druckpresse aus dem Jahre 1811 (rechts). Bild links: vlasta2 - Flickr: PrintMus 038
Setzer und Drucker arbeiteten auf diese Weise über mehrere Jahrhunderte hinweg fast sprichwörtlich Hand in Hand. Zwar wurden die Materialien, Werkzeuge und Maschinen im Laufe der Zeit immer weiter verfeinert und verbessert, aber die grundlegende Technik des Setzens und des Druckens erfolgte wie in den Tagen Gutenbergs.
Die Automatisierung des Buchdrucks
Der erste Quantensprung vollzog sich in der Nacht vom 28. auf den 29. November 1814, als die gesamte Auflage der Londoner Tageszeitung „The Times“ zum ersten Mal auf einer Zylinderdruckmaschine hergestellt wurde. Dieses den Buchdruck revolutionierende Ereignis konnte eintreten, weil der aus Eisleben stammende Buchdrucker Johann Friedrich Gottlob Koenig (* 1774 † 1833) diese erste Schnellpresse der Welt erfunden, in Deutschland zunächst noch weitgehend aus Holz konstruiert und dann mit seinem späteren Geschäftspartner Andreas Friedrich Bauer (* 1783 † 1860) in London als Metallausführung bis zur Serienreife weiterentwickelt hatte. Mit Koenigs Erfindung verband sich eine grundlegende Neuerung in der technischen Abwicklung des Hochdruckverfahrens: weg von der nach dem Prinzip „Fläche gegen Fläche“ arbeitenden Tiegeldruckmaschine und hin zur Zylinderdruckmaschine, die nach dem neuen Prinzip „Zylinder gegen Fläche“ funktionierte.
Abb. 2: Gegenüberstellung des seit Gutenberg vorherrschenden Tiegeldruckprinzips mit dem von Koenig erfundenen Druckzylinderverfahren. Grafik: Hans Werner Büchel · 2023.
Während ihres Aufenthalts in London hatten Friedrich Koenig und sein Partner Andreas Bauer, der gelernter Optiker und Mechaniker sowie studierter Mathematiker war, auch die Vorteile der mit Dampfkraft angetriebenen Maschinen kennengelernt. Der effiziente Einsatz der Dampfmaschine gehört untrennbar zur industriellen Revolution, die in England Mitte des 18. Jahrhunderts und damit gut 50 Jahre früher als in Deutschland einsetzte. Koenig und Bauer erfassten die Vorteile dieser neuartigen Antriebstechnik und setzten die Dampfmaschine zum Antrieb des Druckzylinders der Druckpresse ein.
Bereits 1811 erhielt Friedrich Koenig das Patent auf die von ihm erfundene Zylinderdruckmaschine und erwarb in den Folgejahren weitere Patente, die im Zusammenhang mit der Drucktechnik standen. Nach gut einem Jahrzehnt des Aufenthalts in England siedelten Koenig und Bauer im Jahr 1817 nach Bayern über und gründeten im ehemaligen Kloster Oberzell bei Würzburg die Maschinenfabrik Koenig & Bauer. Daraus erwuchs der weltweit größte Hersteller von Druckmaschinen.
Abb. 3: Die dampfbetriebene Zylinderdruckmaschine von Friedrich Koenig zum Druck der „Times“ 1814 und eine industrielle Digitaldruckmaschine von Koenig & Bauer aus neuester Zeit.(Bild rechts: INPRG - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0.
Die in den Druckereien spürbarste Auswirkung von Koenigs Erfindung war die enorme Steigerung der Druckkapazität; das Drucken ging nun erheblich schneller als bisher vonstatten. Konnten auf einer handbetriebenen Gutenberg-Presse um 1600 maximal 240 Drucke je Stunde hergestellt werden, so waren es auf der dampfgetriebenen Koenig-Presse im Jahr 1818 bereits 2.400, Tendenz steigend.
Sechs Setzer auf einen Drucker
Durch den stetig wachsenden Bedarf an Informationen jeder Art entstanden im 19. Jahrhundert auf der ganzen Welt große Verlagshäuser, die Tageszeitungen, im englischsprachigen Raum „Newspaper“ genannt, herstellten und dafür entsprechend große Druckereien einrichteten. Diesen Druckereien standen nun zwar moderne Druckmaschinen zur Verfügung, der Satz der Texte erfolgte aber nach wie vor von Hand. Die Schriftsetzer entnahmen wie seit Gutenbergs Zeiten Letter für Letter aus dem Setzkasten, fügten sie im Winkelhaken zu Wörtern und Zeilen zusammen und bauten auf dem Setzschiff ihre Kolumnen, die sie an die Korrektoren und Metteure weitergaben. Ein Quantensprung wie beim Druck war in der Satzherstellung nicht in Sicht.
Abb. 4: Handschriftsetzer in einer größeren Offizin, vermutlich in London oder Leipzig. Fotograf und Aufnahmeort unbekannt.
Diesem technologischen Missverhältnis begegneten die Verlagshäuser zum einen mit der Einstellung weiterer Schriftsetzer und zum anderen mit der Einführung der Akkordarbeit in den Handsetzereien. Für den einzelnen Schriftsetzer bedeutete dies: aus der Menge des von ihm erstellten Schriftsatzes ergab sich der am Monatsende zu erwartende Lohn. Er verdiente also mit der Schrift sein Brot; der Begriff „Brotschrift“ wurde in dieser Zeit gebräuchlich. Für den Personalbedarf der Druckereien bildete sich im 19. Jahrhundert die Faustformel „Sechs Setzer auf einen Drucker“ heraus. Hatte man fünf oder sechs Druckmaschinen zur Verfügung, so benötigte man für die tagesaktuelle Herausgabe der Zeitungen etwa 30 bis 40 Schriftsetzer. Dazu kamen noch die Korrektoren, die die Kolumnen auf Fehler überprüften sowie die Metteure, die für das Zusammenfügen des erstellten Schriftsatzes zu ganzen Zeitungsseiten verantwortlich waren. Neben den Druckmaschinensälen entstanden so ebenso große Säle für die Handsetzereien, in denen dann auch noch die Zeitungsredakteure von Platz zu Platz eilten, um direkte Anweisungen für den Zeitungsinhalt zu erteilen.
Abb. 5: Von Hand gesetzte Zeilen mit Bleilettern aus dem Setzkasten. Bild: Willi Heidelbach, CC BY 2.5.
Der durch den Akkord auf den Schriftsetzern lastende Arbeitsdruck hatte auch Kehr- und Schattenseiten. Die Archive der großen Zeitungsverlage dieser Zeit belegen eine hohe Fehlerquote bei der Satzherstellung, wobei neben der Korrektur von Setz- oder Grammatikfehlern besonders häufig auf das sorgfältige Ausschließen der einzelnen Setz-zeilen verzichtet wurde. Die Geschäftstüchtigkeit nach dem Motto „time is money“ ging mit Qualitätsverlusten einher. Der ohnehin schon hohe Arbeitsstress in den Zeitungsverlagen erhöhte sich durch das Aufkommen von Telegrafie und Nachrichtenagenturen etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts erheblich. Neuigkeiten verbreiteten sich nun beinahe in Lichtgeschwindigkeit.
Die Schattenseiten zeigten sich dem Schriftsetzer des 19. Jahrhunderts in den Auswirkungen des Berufes auf seine Gesundheit. Die von ihm verarbeiteten Lettern bestanden aus einer Metalllegierung mit einem Anteil reinen Bleis (Plumbum) von über achtzig Prozent. Durch den ganztägigen Umgang mit dem giftigen Schwermetall kam es im 19. Jahrhundert noch verstärkt zu schweren Erkrankungen unter den Setzern, darunter auch die oftmals tödlich verlaufenden Bleivergiftungen. Vorbeugemaßnahmen wie das Trinken von calciumhaltiger Milch kamen ebenso wie der moderne Gesundheitsschutz erst im folgenden Jahrhundert zur Geltung.
Der zweite Quantensprung: die Linotype
Die Faustformel „Sechs Setzer auf einen Drucker“ behielt fast während des gesamten 19. Jahrhunderts ihre Geltung. Während die Druckmaschinentechnik in dieser Zeit erhebliche Fortschritte verzeichnete, blieb im Bereich Satzherstellung weitgehend alles beim alten. Als am 11. Mai 1854 im Dorf Hachtel im Nordosten des damaligen Königreichs Württemberg der Knabe Ottmar in die Familie Mergenthaler hineingeboren wurde, ahnte noch niemand, dass aus diesem Kind einmal eine Persönlichkeit werden sollte, deren Bedeutung für die Buchdruckerkunst durchaus mit der von Johannes Gutenberg verglichen werden konnte. Schon als Kind war Ottmar Mergenthaler technisch interessiert und wohl auch versiert, denn er reparierte als Heranwachsender bereits die defekte Turmuhr der heimatlichen Dorfkirche. Sein Wunsch war es, Ingenieur zu werden, was die Familie aber finanziell überfordert hätte. So erlernte er den Beruf des Uhrmachers, bildete sich in der Abend- und Sonntagsschule weiter, bevor er im Alter von erst 18 Jahren Deutschland verließ, um zu seinem Vetter August Hahl, der ihm das Geld für die Überfahrt vorgestreckt hatte, nach Washington D.C. auszuwandern. Hahl betrieb dort eine Werkstatt für elektrische Geräte und Messwerkzeuge, in der Ottmar Mergenthaler als Gegenleistung für die Schifffahrtskosten arbeiten sollte. 1875 verlagerte August Hahl seine Werkstatt nach Baltimore im benachbarten Maryland. Von 1878 an war Mergenthaler Teilhaber im Unternehmen seines Vetters, und im selben Jahr, am 9. Oktober 1878, erhielt Ottmar Mergenthaler die amerikanische Staatsbürgerschaft.
Abb.7: Ottmar Mergenthaler mit 25 Jahren. Bild: Letterpress Commons Ottmar Mergenthaler and the Linotype. Bild rechts: Mergenthaler als "gemachter Mann" in späteren Jahren
Schon geraume Zeit vor Mergenthalers Ankunft in den Vereinigten Staaten beschäftigten sich dort zahlreiche Erfinder damit, den Setzvorgang zu automatisieren und zu beschleunigen. Ihre Bemühungen zur Leistungssteigerung in der Satzherstellung scheiterten aber meist an mechanischen Problemen. Auch Ottmar Mergenthaler suchte einige Jahre nach einer Lösung. 1884 konstruierte er seine erste Matrizenstabsetzmaschine in seiner Werkstatt in Baltimore. Schon bei diesem frühen Modell wurden die Zeilen mit Blei gegossen. Das Patent für diese Setzmaschine wurde am 26. August 1884 amtlich bestätigt. Nun galt es, Geldgeber für Mergenthalers Idee einer vollautomatischen Setzmaschine zu gewinnen. Das gelang am 14. März 1885 durch die Gründung eines Syndikats, das aus einer Gruppe namhafter Zeitungsverleger bestand und Mergenthalers Projekt mit einem Kapital von 300.000 US-$, das entspricht einem Wert von 8.991.000 US-$ im Jahre 2023, ausstattete. Es wurde gesagt, dass dies die höchste Summe war, die in eine amerikanische Erfindung, die bislang noch keinen Profit erbrachte, investiert wurde.
Abb.6: Ottmar Mergenthalers Matrizenstabsetzmaschine von 1884. Bild: Harris & Ewing, Teil der Harris & Ewing Collection, Library of Congress.
Ottmar Mergenthaler konstruierte nun eine völlig neue Maschine mit jetzt frei umlaufenden Messingmatrizen, die am 3. Juli 1886 bei der „New York Tribune“, deren Herausgeber Whitelaw Reid zu Mergenthalers Geldgebern gehörte, vorgestellt wurde. Reid soll bei der Inbetriebnahme der Maschine ausgerufen haben „Ottmar, you´ve cast a line of types“ (deutsch: „Ottmar, du hast eine Zeile mit Lettern gegossen“). Dadurch soll es zum Namen „Linotype“ für diese Setzmaschine gekommen sein. Eine andere Überlieferung besagt, dass der Name des Verfahrens auf einen Tippfehler zurückgehe: Als Mergenthaler seine Maschine erstmals ausprobierte, vergaß er das f. Als die Zeile gedruckt wurde, las er „a line o types“. Wie dem auch sei, die Maschine ging unter dem Markennamen „Linotype“ in Serie und wurde weltberühmt.
Im Jahr 1885 wurde die „Mergenthaler Printing Company“ mit einem Stammkapital von 1.000.000 US-$ (29.970.000 US-$ in 2023) gegründet. Inzwischen hatte Mergenthaler neun Verbesserungen an der Maschine entwickelt, die alle patentiert wurden. Eine Gruppe von Zeitungsverlegern hatte eine hohe Gewinnerwartung in die Setzmaschine und übernahmen die Geschäfte der neuen Firma. Sie bestellten 100 Setzmaschinen, die schnellstens gebaut werden sollten. Der Grund für diese Eile lag auf der Hand: konnte ein geübter Handsetzer bisher etwa 1.400 Lettern in der Stunde liefern, so konnte die Stundenleistung durch Mergenthalers Setzmaschine vom nun Maschinensetzer genannten Bediener auf etwa 6.000 Zeichen gesteigert werden. Diese erste Maschine wurde „Blower-Linotype“ genannt, weil sie Druckluft zum Transport der Matrizen einsetzte. 1887, ein Jahr nach der ersten Präsentation, besaß die „New York Tribune“ bereits 30 Linotypes, die „Washington Post“ 15, „Rand of Rand“ in Chicago 20 und das „Courier Journal“ in Louisville 18 dieser Setzmaschinen. Die Serienproduktion der Linotype lief auf Hochtouren, jedoch nicht reibungslos.
Abb.8: Die Linotype für die „New York Tribune“ von 1886. Bild: Scan aus dem Buch von George Iles: Leading American inventors
Abb.9: Ottmar Mergenthaler, vorne, am Zeichentisch (links), die Ott.-Mergenthaler-Fabrik in Baltimore (Mitte) und ein Blick in die Werkhalle der Linotype-Produktion (rechts). Bilder: Ottmar Mergenthaler and Company, Baltimore.
Mergenthaler hatte die Herstellung verschiedener Komponenten der Maschine an Fremdfirmen vergeben, die entweder minderwertige Ware produzierten oder nicht zeitgerecht lieferten. Die immer größer werdenden Schwierigkeiten führten schließlich zum Zerwürfnis Mergenthalers mit der bisherigen Firmenleitung. Am 15. März 1888 trat er als Werksleiter zurück, und nur wenig später überwarf er sich mit den Mitgesellschaftern und trat aus dem Unternehmen aus.
Ottmar Mergenthaler entwickelte seine für die Tribune gefertigte Maschine in den folgenden Jahren weiter und stellte schließlich das verbesserte Linotype-Modell-1, die sogenannte „Simplex“ der Öffentlichkeit vor. Sowohl auf der Pariser Weltausstellung 1889 wie auch auf der World’s Columbian Exhibition in Chicago 1893 wurde die „Simplex“ international gefeiert. Bereits 1892 war in Amerika die tausendste Linotype „Simplex“ hergestellt worden, drei Jahre später waren 2608 Linotype-Modell-1-Maschinen an 385 Orten in den USA im Einsatz. 1895 war auch das Jahr, in dem diese Setzmaschine von den amerikanischen Druckereien offiziell anerkannt wurde.
Durch den Erfolg der „Simplex“ kam es für Ottmar Mergenthaler wieder zur Einigung mit seinen früheren Gesellschaftern. 1891 wurde die „Mergenthaler Linotype Company“ gegründet, die ihren Hauptsitz in der 44-60 Ryerson Street in Brooklyn, New York City nahm.
Abb 10: Die Linotype-Modell-1 „Simplex“ (Bild: Scan aus dem Buch von George Iles: Leading American inventors)
Der Siegeszug der Linotype in der Druckindustrie war nun, auch in Europa, nicht mehr aufzuhalten. Bereits 1894 erwarb eine Verlegergruppe aus den Niederlanden eine erste Maschine, im gleichen Jahr wurde Patenrechte nach Großbritannien und Irland verkauft. Auch in Deutschland wurde mit der „Mergenthaler-Setzmaschinen-Fabrik GmbH“ in Berlin im Oktober 1896 ein Tochterunternehmen gegründet. Dies alles geschah noch zu Lebzeiten des genialen Erfinders. Am 28. Oktober 1899 verstarb Ottmar Mergenthaler mit nur 45 Jahren an den Folgen einer Tuberkuloseerkrankung in Baltimore.
Die Erfindung Ottmar Mergenthalers wird als „die bedeutendste satztechnische Innovation seit Gutenberg“ angesehen. Sie leitete eine epochale Entwicklung in der Satzherstellung und ein neues Zeitalter in der Drucktechnik ein. Die Auflage der amerikanischen Zeitungen stieg innerhalb kurzer Zeit von 3,6 Millionen auf 33 Millionen. Zeitungen und Bücher konnten nun schneller und günstiger produziert werden. Bis Anfang der 1980er Jahre blieb die Linotype-Setzmaschine, die kontinuierlich weiterentwickelt wurde und bei Lochstreifensteuerung Stundenleistungen von bis zu 25.000 Zeichen erreichte, gängige Technik in der Satzherstellung.
Abb.11: Hand- und Maschinensatz im Nachkriegsdeutschland: Schriftsetzer in der DDR im Jahr 1954 (Bild: Bundesarchiv, Bild 183-27924-0001) und Maschinensetzer in der Bundesrepublik im Jahr 1953 (Bild: Deutsche Fotothek)
Ein neues Zeitalter für die Setzer
Mit ihren Setzleistungen von 1.200 bis 1.400 Lettern pro Stunde konnten die Handsetzer auch unter Akkordbedingungen mit dem Maschinensatz der Linotype nicht mehr mithalten. Die Jünger Gutenbergs gerieten gegen Ende des 19. Jahrhunderts erneut unter Druck. Konnte es nach der Automatisierung der Druckmaschine nicht genug von ihnen geben, so wurden sie nun mehr und mehr überflüssig. Wem die Weiterbildung zum Maschinensetzer nicht gelang oder möglich war, musste umsatteln und einen neuen Beruf erlernen. Für die verbliebenen Schriftsetzer trat nun eine grundlegende Veränderung ihrer Tätigkeit in den stark reduzierten Handsetzereien der Druck- und Verlagshäuser ein. Zwar blieb die fehlerfreie Herstellung eines handgesetzten Blocksatzes nach wie vor Bestandteil der Ausbildung und auch der Prüfungsordnungen, den Schwerpunkt der praktischen Arbeit bildeten aber nun die gestalterischen Elemente auf der Basis eine kreativen Typografie. In mittelständischen Druckereien fungierten die Schriftsetzer vielfach auch als Metteure, die den Satzumbruch durchführten, dabei den vom Maschinensetzer erstellten Zeilensatz verarbeiteten und durch eigene handgesetzte Elemente ergänzten. Beispiele dafür sind die Herstellung von Büchern, Broschüren, Vereinsfestschriften oder Wochenzeitungen, die zu den klassischen und häufig nachgefragten Erzeugnissen kleinerer Druckereien gehörten. Hinzu kamen der sehr vielfältige Bereich der Gelegenheitsdrucksachen, der sogenannten Akzidenzen, für die gut ausgebildete Typografen benötigt wurden. Der Schriftsetzerberuf kam aber auch als Basis für ein berufliches Weiterkommen in Frage. So eröffnete die abgeschlossene Schriftsetzerlehre in Verbindung mit einem mittleren Bildungsabschluss die Möglichkeit zum Studium an kunsthandwerklichen Hochschulen, wenn man etwa das Berufsziel des Werbe- oder Gebrauchsgrafikers vor Augen hatte. Aber auch in den Druckereien selbst konnte man mit zusätzlichen Qualifizierungen auf der Basis des erlernten Schriftsetzerberufs in Führungspositionen aufsteigen.
Schriftsetzer und Buchdrucker sind heute aus dem Arbeitsleben verschwunden, die Berufe werden seit den 1980er Jahren nicht mehr ausgebildet. Die zahlreichen Innovationen im grafischen Gewerbe führten zu mehreren grundlegenden Veränderungen der Produktionsprozesse und brachten dadurch auch immer wieder neue Berufe hervor. Motor dieser Prozesse waren stets die jeweiligen Druckverfahren, die zur Anwendung kamen. Schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts trat mit dem Offsetdruck ein erster ernsthafter Konkurrent des Buchdrucks auf, der völlig neue Verfahren der Druckformherstellung mit sich brachte. Dieses neuartige Flachdruckverfahren verdrängte so nach und nach nicht nur die Buchdrucker, sondern auch die Schriftsetzer aus der Arbeitswelt. An ihre Stelle traten die Reproduktionsfotografen, Druckvorlagenhersteller und Offsetdrucker.
Abb.12: Prinzip des Offsetdrucks. Grafik: Hans Werner Büchel nach Vorlage Inkman.
wird fortgesetzt · hwb 26.08.2023