Das herrliche Spätsommerwetter an diesem Donnerstagmorgen mag daran erinnern, dass auch die jüdischen Mitbürger einst schöne und unbeschwerte Tage in ihrer Heimatstadt Ottweiler erlebt hatten.
Der Künstler Gunter Demnig, der mit den Solpersteinen ein dezentrales europäisches Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus errichtet, war zum dritten Mal in Ottweiler, um die vorerst letzten neun Steine vor den Wohnstätten zu verlegen.
Im Haus Bahnhofstraße 25 wohnten die Eheleute Edmund Myrthyl und Germaine Herrmann. Ihr Sohn Edmund Myrtil kam am 20. Mai 1930 zur Welt und überlebte den nationalsozialistischen Staatsterror als einziger in der Familie. Nach der Pogromnacht 1938 in Ottweiler wurde der Vater am 15. November als Schutzhaftjude in das KZ Dachau eingeliefert. Die letzte Wohnstätte der Familie Herrmann vor der Deportation war die Straße Im Holzgehege 15 in Neunkirchen. Dass dennoch in Ottweiler Stolpersteine verlegt wurden, hat Gründe: Der Vater Edmund Myrthyl lebte insgesamt 34 Jahre, von seiner Geburt bis zum Wegzug, in Ottweiler. Dieser Wegzug erfolgte nicht aus freien Stücken, sondern war Folge der Ausschaltung der Juden aus dem Ottweiler Wirtschaftsleben, die ihm die Existenzgrundlage als Kaufmann und Händler entzogen hatte.
Am 22. Oktober 1940 wurden Myrthyl, Germaine und Myrtil Herrmann nach Gurs deportiert. Die Mutter Germaine wurde am 13. September 1942 in ein Frauenlager nach Drancy verschleppt, von dort folgte ihr letzter Weg in das Vernichtungslager Auschwitz. Der Vater Myrthyl kam am 8. Dezember 1943 nach Auschwitz. Das Kind Edmund Myrtil, zur Zeit der Deportation gerade einmal zehn Jahre alt, kam zunächst in ein französisches Kinderheim. Als Zwölfjähriger konnte er über Frankreich und Spanien nach Palästina fliehen.
Caroline Wolff war am 18. Oktober 1865 in Nalbach zur Welt gekommen und hatte am 28. Februar 1894 mit dem aus Oberemmel/Konz stammenden Moses Herrmann die Ehe geschlossen, aus der am 12. Juli 1896 der in Ottweiler geborene Myrthyl Herrmann hervorging. Ihr Mann starb als Achtzigjähriger im Jahre 1931; Caroline Herrmann blieb nach dem Tod ihres Mannes weiter in Ottweiler wohnen. Am 22. Oktober 1940 wurde sie im Rahmen der „Aktion Bürckel“ nach Gurs deportiert. Im hohen Alter von 75 Jahren musste sie die Deportation, Internierung und Weiterverlegung ins Lager Rivesaltes erleiden. Caroline Herrmann verstarb kurz nach der Verlegung am 3. September 1941 und wurde auf dem Dorffriedhof bestattet, wo ein Grabmal ihren Namen festhält. Ihr Tod hatte sie vor der Vernichtung in einem der Lager des Ostens gerettet.
Der am 10. November 1869 in Feldberg geborene Leo Salomon und seine Frau Bertha, am 4. März 1873 in Wiebelskirchen geboren, bewohnten dieses heute sehr schön restaurierte Haus in der Ottweiler Altstadt. Aus ihrer Ehe waren zwei Töchter hervorgegangen, Rosa, geboren am 28. Januar 1897 und Flora, geboren am 28. Februar 1905, beide in Ottweiler. Rosa heiratete am 6. August 1926 den aus Brotdorf stammenden Robert Marx. Aus der Ehe ging der am 2. September 1929 geborene Sohn Horst hervor. Nach dem frühen Tod ihres Mannes Robert kehrte Rosa Marx zusammen mit ihrem Sohn Horst wieder in die Tenschstraße nach Ottweiler zurück.
Leo und Berta Salomon sowie Horst und Rosa Marx fielen am 22. Oktober 1940 der „Aktion Bürckel“ zum Opfer und wurden nach Gurs deportiert. Flora Salomon war 1930 nach Essen verzogen. Das Ehepaar Salomon wurde 1944 in Montélimar befreit. Leo Salomon sah dennoch seine Heimatstadt Ottweiler nicht wieder, da er 1945 bei einem Autounfall ums Leben kam. Bertha Salomon wanderte zusammen mit ihrer Tochter Flora nach New York aus, wo beide bis zu ihrem Tod 1958 bzw. 1987 lebten. Der zweiten Tochter der Salomons, Rosa Marx, blieb der Gang in die Vernichtung nicht erspart. Nach der Deportation nach Gurs folgte die Internierung im Lager Drancy und 1942 die Ermordung in Auschwitz. Ihrem Sohn Horst Marx gelang 1942 zunächst die Flucht aus Gurs und 1944 dann die endgültige Rettung in die Schweiz. 1949 folgte die Auswanderung nach Amerika.
Das Verlegen der Stolpersteine begleiteten auch in diesem Jahr Schülerinnen und Schülern der Gemeinschaftsschule Anton Hansen und des Gymnasiums Ottweiler mit biografische Skizzen. Diakon Peter Munkes (katholische Kirche), Pfarrer Erhard Kern (evangelische Kirche) und Erika Hügel (Synagogengemeinde Saar) sprachen dazu Fürbitten.
Schüler der Anton-Hansen-Schule mit Bürgermeister Holger Schäfer vor dem Haus der Familie Salomon/Marx in der Tenschstraße
Von links: Erika Hügel (†) von der Synagogengemeinde Saar, Bürgermeister Holger Schäfer und Hans-Joachim Hoffmann
In Dankbarer Erinnerung an Erika Hügel
Nach kurzer und schwerer Krankheit verstarb am 4. Oktober, dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, Frau Erika Hügel. Als Vorsitzende der Repräsentanz der Jüdischen Gemeinde Saar war Frau Hügel in den Jahren 2014, 2015 und 2016 bei den Verlegeaktionen von 30 Stolpersteinen für die jüdischen Opfer der NS-Gewaltherrschaft nach Ottweiler gekommen, um gemeinsam mit den Vertretern der evangelischen und katholischen Gemeinden die Veranstaltungen mit Fürbitten zu begleiten.
Neben der Erinnerung an das erlittene Leid und das Schicksal ihrer jüdischen Mitmenschen war für Erika Hügel der Dialog zwischen den Religionen von zentraler Bedeutung. Sie arbeitete viele Jahre in der Christlich-jüdischen Arbeitsgemeinschaft des Saarlandes (CJAS) mit und war seit 2018 deren jüdische Vorsitzende. Erika Hügel verstarb im Alter von 91 Jahren in ihrem Haus in Völklingen und wurde am 13. Oktober auf dem jüdischen Friedhof an der Goldenen Bremm in Saarbrücken beigesetzt. Wir sind dankbar für den Beitrag von Erika Hügel zur Erinnerungskultur an das jüdische Leben in Ottweiler: „Ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens.“
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