Das im Hochmittelalter vom Metzer Klerus am Fuße des Hahnenbergs errichtete Nonnenkloster lag einsam in einem weitgehend dünn oder gar nicht besiedelten Gebiet. Es bedurfte daher einer weltlichen Schutzmacht, die es vor Übergriffen jeder Art bewahrte. Dazu bedienten sich die geistlichen Herren eines Vogtes, der meist ein weltlicher Herr war, der aus den Führern einer Sippschaft oder eines Stammes hervorgegangenen war. Bereits der historische Begriff Vogt zeigt uns, um was es dabei geht. Das Wort »Vogt« (auch Voigt oder Fauth) hat einen althochdeutschen Ursprung und ist aus dem lateinischen »advocatus« entlehnt. Übersetzt bedeutet es „Rechtsbeistand, Anwalt, Sachwalter“, wörtlich „Hinzu- oder Herbeigerufene“.
Für das Kloster Neumünster erscheint bereits im Jahre 1186 ein Graf Simon II. von Saarbrücken als Obervogt. Er übertrug aber die unmittelbare Schirmherrschaft an die Herren von Kirkel, die von einer Wasserburg aus rund zweihundert Jahre den Schutz des Klosters gewährleisteten. 1387 stirbt das Kirkeler Geschlecht aus und die Saarbrücker Grafen übernehmen unmittelbar die Schirmherrschaft über das Kloster.
Diese Jahre sind mit hoher Wahrscheinlichkeit die Ursprungsjahre der Stadt Ottweiler. Denn mit der Schutzherrschaft der Vögte wurde eine räumliche Verbindung vom Kloster zur Burg geschaffen, aus der sich auch ein wirtschaftliches und politisches Zusammenwirken von Burg und Kloster entwickelte.
In die Zeit der Klostervögte fällt auch die erste urkundliche Erwähnung Ottweilers. Lange Zeit war dies eine Urkunde aus dem Jahre 1393, in der erstmals von »Schloss, Burg und Vorburg zu Otewiler« die Rede war. Im Jahre 2014 entdeckte Professor Horst Schiffler bei Recherchen zur Ottweiler Stadtgeschichte im Bayerischen Staatsarchiv in München eine Urkunde von 1385, in der »Peter Engelant von Saarbrücken, Burggraf zu Otwilre« dem Grafen von Sponheim die Auszahlung von Manngeld quittiert.
Erste urkundliche Erwähnung Ottweilers in der Urkunde von 1385
Durch Erbschaft gelangte Graf Simon IV. in den Besitz der Herrschaft Commercy an der Maas und erbte 1274 zudem von seiner Mutter die Grafschaft Saarbrücken. Seine Nachkommen nannten sich fortan Grafen von Saarbrücken-Commercy. Das Geschlecht starb durch den Tod des Grafen Johann II. im Jahre 1381 in männlicher Linie aus. Die Erbtochter Johanna war seit 1353 mit Graf Johann I. von Nassau-Weilburg (* 1309; † 20. Sept. 1371) verheiratet. Sie starb im gleichen Jahr wie ihr Vater, so dass die Saarbrücker Grafschaft an ihren 1368 geborenen Sohn Philipp fiel. Als Philipp I. nannte er sich fortan Graf von Nassau-Saarbrücken-Weilburg. Seine Nachfolger kamen in den Besitz der Herrschaften Ottweiler und Homburg mit den Orten Ottweiler, Neunkirchen und Homburg und übten zudem die Schirmvogteien über die Klöster Neumünster und Wörschweiler aus.
Die im ausgehenden Mittelalter aufkommende Praxis der Herrschaftsteilung zeichnet sich dadurch aus, dass die in früheren Zeiten übertragenen Reichslehen nun ohne Zustimmung des Königs (als dem obersten Lehnsherren) wie Privatbesitz geteilt wurde. Auch in der Grafschaft Nassau, die reichsweit zu den kleinen Grafenhäusern gehört, emanzipiert sich die leihweise übertragene Herrschaft durch diese neue Teilungspraxis von der lehnsrechtlichen Oberherrschaft des Königtums und wandelt sich so zur selbstständigen Landesherrschaft.
Seit 1544 ist die Herrschaft Ottweiler eine selbstständige Grafschaft des Hauses Nassau-Saarbrücken. Die Grafen, die ihren Sitz vor Ort hatten, waren dabei für die Entwicklung Ottweilers von größerer Bedeutung als jene, die von außerhalb die Grafschaft mitregierten. Graf Johann IV. (* 23.11.1511; † 18.07.1574; teilweise auch Zählung Johann III.) war ein solcher Regent. Seit 1531 am Hofe Kaiser Karls V. ausgebildet, stand Johann lange Jahre als Offizier im Dienste des Monarchen und nahm mit steigender Verantwortung an zahlreichen Feldzügen teil. 1550 wurde er vom Kaiser zum Oberstkämmerer und Kriegsrat ernannt. Dieser engen Verbindung zum Kaiser und seinen unbestrittenen Verdiensten für diesen ist es zu verdanken, dass Johann für Ottweiler die Stadtrechte erwirkte. Sie wurden von Kaiser Karl V. durch Urkunde, den sog. Freiheitsbrief, im gleichen Jahr feierlich verliehen und der Bürgerschaft am "Freitag nach Neujahrstag, 4. Januar 1550" verkündet. 1552 erhielt Ottweiler auch das Recht, Wochenmärkte in der Stadt abzuhalten. Johann, der letzte katholische Graf von Nassau-Saarbrücken, war unverheiratet geblieben und hatte somit keine erbberechtigten Nachfahren. Aus der illegitimen Beziehung zu Adelheid von Kronenkracht hatte er die Söhne Johann Friedrich und Johann Ludwig, die 1562 legitimiert und später auch geadelt wurden. Aus der Beziehung mit Elisabeth Selz ging der Sohn Philipp hervor.
Bild links: Grabmal des Grafen Johann in der Stiftskirche St. Arnual in Saarbrücken
Stadtsiegel aus dem Jahre 1550 mit der Inschrift » S . C I V I T A T I S . O T T O V I L L Æ . 1 5 5 0 «
(1937 von Karl Schwingel gezeichnet)
Diese Kinder spielten aber beim Erbrecht im Hause Nassau keine Rolle, so dass die Grafschaft Ottweiler nach Johanns Tod an Graf Philipp von Nassau-Weilburg aus der walramischen Linie des Hauses Nassau fiel.
Philipps Regentschaft, die er bereits mit 19 Jahren von seinem 1523 verstorbenen Vater Graf Ludwig I. übernommen hatte, fiel in das Zeitalter der Reformation. Im Bündnis mit Philipp I. von Hessen stehend führte er in seiner Grafschaft Nassau-Weilburg die Reformation ein. Graf Philipp III. von Nassau-Weilburg war dreimal verheiratet. Frau und Kinder der ersten Ehe verstarben früh. Die zweite Ehe mit der erst 16-jährigen Anna von Mansfeld war 1536 auf Vermittlung von Philipp von Hessen zustande gekommen. Die sehr junge Frau starb ein Jahr später bei der Geburt des einzigen Kindes Albrecht. Amalie zu Isenburg-Büdingen hieß die dritte Ehefrau, mit der Philipp drei Kinder hatte, darunter den erstgeborenen und nach dem Vater genannten Sohn Philipp. Auch diese Ehe war durch den Grafen von Hessen vermittelt worden. Graf Philipp III. von Nassau-Weilburg hinterließ seinen erbberechtigten Söhnen Albrecht und Philipp eine hochverschuldete Teilgrafschaft Weilburg. Bis 1561 regierten sie diese gemeinsam, dann erfolgte die Teilung. Albrecht wurde Regent über Ottweiler, Homburg, Kirchheim, Lahr im Schwarzwald und Mahlberg.
Münzbild des Grafen Albrecht ("ALBERT COMES") auf einem 1593 in Kirchheim geprägten Taler
Unter dem Grafen Albrecht, der von Kind auf im evangelischen Glauben erzogen wurde und dabei auch den berühmten Reformatoren Philipp Melanchton persönlich kennenlernte, wurde mit Unterstützung des Superintendenten Lorenz Stephany in der Herrschaft Ottweiler die Reformation eingeführt. Das schon seit geraumer Zeit im Niedergang befindliche Nonnenkloster wurde endgültig aufgelöst. Zeitgleich setzte eine rege Bautätigkeit in den neu erworbenen Besitzungen ein. In Ottweiler ließ sich Graf Albrecht von Baumeister Christmann Strohmeyer ein repräsentatives Renaissanceschloss erbauen, das jedoch bereits rund hundert Jahre später während des Dreißigjährigen Krieges so starke Schäden erlitt, dass es unbewohnbar wurde und von den Nachfolgern in der Fürstenzeit 1753 abgetragen wurde.
Zeichnung des Ottweiler Schlosses von Heinrich Hoer 1617
Wie schon erwähnt, stationierten die Saarbrücker Vögte ihr Schutzmannschaft auf einer Burg nahe beim Kloster. Es wird in der stadtgeschichtlichen Forschung davon ausgegangen, dass dies das Gebiet der heutigen Altstadt war. Wie genau diese Burg aussah, weiß niemand. Unklar ist auch die ursprüngliche Bestimmung des mächtigen Turmes, der heute als Kirchturm der evangelischen Kirche dient. Gesichert ist, dass das als Wehrturm bezeichnete Wahrzeichen Ottweilers in der Zeit zwischen 1410 und 1420 aus schweren Sandsteinquadern in der Manier eines typischen Bergfriedes erbaut wurde. Auch die Eindeckung mit dem spitzen Schieferhelm, der das meisterhaft gefertigte Dachgebälk umhüllt, und die vier genau nach den Himmelrichtungen ausgerichteten Ortstürmchen (auch Wichhäuschen) stammen aus dieser Zeit. Ob er jedoch mit der Burg oder mit der Stadtmauerbefestigung in Verbindung gebracht werden kann, ist nicht geklärt.
Zu dieser Erkenntnis gelangte auch einer der besten Kenner der Ottweiler Stadtgeschichte. Dieter Robert Bettinger hatte sich bei der historischen Aufarbeitung des mittelalterlichen Ottweilers auch mit der Bedeutung des Wehrturmes und der Burg in Ottweiler auseinandergesetzt. Nachfolgend sein leicht gekürzter Beitrag aus dem Jahre 2008:
Zur Geschichte des Turmes der evangelischen Kirche zu Ottweiler
Türme sind wohl so alt, wie die Menschheit selber und in mannigfachen Ausführungen über die gesamte Welt verbreitet. Zu den ältesten Bauwerken dieser Art gehört zweifellos jenes mächtige, geradezu schicksalhafte Denkmal, das sich, nach Aussagen der Bibel, die Bürger von Babylon zu errichten gedachten. Die berühmte Chinesische Mauer zählt auf insgesamt 6350 Kilometern Länge immerhin 25 000 Türme, die als Schutz für die Verteidiger, als Waffenlager und als Signaltürme gebaut wurden. Die Römer brachten es auf 900 Wachtürme, die ihren Grenzwall, den Limes und das dahinter liegende Land, auf insgesamt 548 Kilometern mit Wall, Graben und Palisaden sicherten und auch der Übermittlung von Nachrichten dienten. Türme sind prägende Bauwerke in den Verteidigungsanlagen mittelalterlicher Städte und haben ihre Bedeutung in vielfältiger Weise bis heute nicht verloren, wenn wir in diesem Zusammenhang zum Beispiel an Funktürme, Fernsehtürme, Wassertürme, Peiltürme und so weiter denken.
Ein markantes Bauwerk aus der Geschichte unserer engeren Heimat ist vor gut einem Jahr plötzlich in den Blickpunkt des allgemeinen Interesses geraten. Das bekannte Wahrzeichen unserer Stadt, der Turm der evangelischen Kirche in Ottweiler.
Die Siedlung entstand vermutlich vor mehr als 1 100 Jahren in Verbindung mit der von den alten Grafen von Saarbrücken zum Schutz des Terentiusklosters am Hahnenberg errichteten Burg, über deren genaue Lage und exaktes Aussehen leider keine näheren Überlieferungen bekannt sind. Die kleine Gemeinde, die im ausgehenden 9. Jahrhundert noch keinen Namen hatte, wurde 1104 als Othwilre bzw. Ottenvillari , vermutlich nach einem der Sächsischen Kaiser benannt, von denen Otto I. als einer der bedeutendsten Repräsentanten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation bekannt geworden ist. Im Jahre 1393 erfahren wir aus einem Schriftstück von Schloss, Burg und Vorburg zu Otewiller, ohne dass genaue Lage und Aussehen des Grafensitzes näher bezeichnet werden. Die Grafen behielten ihr Schloss unmittelbar und übergaben es nicht an einen Lehensherrn. Zur Verwaltung bestellt sie einen Burggrafen, der auch alle Abgaben einzuziehen hatte. In der kleinen ummauerten Siedlung gab es u.a. eine Badestube und die vom Terentiuskloster aus betreute Mechthildiskapelle zum Heiligen Kreuz, die um 1323 erbaut wurde.
Ein besonderes Wahrzeichen der Stadt Ottweiler ist der wuchtige Turm an der Südseite der heutigen evangelischen Kirche, die aus der ehemaligen Mechthildiskapelle hervorgegangen ist. Das aus ungeheuer dicken Mauern gefügte Bauwerk hat eine Gesamthöhe von 47,80 Metern. Aufgrund eines Baugutachtens aus dem Jahre 2006 ist bekannt, dass der aus kraftvollen Sandsteinquadern errichtete Turm in den Jahren von 1410 bis 1422 als ein typischer Bergfried entstanden ist. Er steht auf der höchsten, und damit von Hochwasser freien, Erhebung im alten Innenstadtbereich und ermöglichte auch von daher eine gute Übersicht über den gesamten Bereich der historischen, von Mauern umgebenen Stadt und ihrer beiden Vorstädte. Warum damals an dieser Stelle ein derart starker Bergfried erbaut wurde, ist bisher nicht bekannt und lässt sich aus der damaligen politischen Situation auch kaum ableiten. Herrscher im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation war von 1410 bis 1437 Kaiser Sigismund aus dem Hause Luxemburg. Zwar bahnte sich während seiner Regierungszeit ein allgemeiner Verfall der Reichsgewalt an, doch bestand damals keine unmittelbare kriegerische Bedrohung des Reichsgebietes. Die Grafschaft Saarbrücken war durch Heirat 1353 an die Grafen von Nassau gekommen. Während der Regierungszeit des Grafen Philipp I., der ein ernannter Ratgeber des Kaisers Sigismund war, waren ebenfalls in jenen Jahren keine Unruhen oder kriegerische Handlungen zu erwarten. Es gibt auch keinerlei Hinweise auf eine Burg im unmittelbaren Turmbereich. So liegt die Vermutung nahe, dass man das markante Bauwerk im 15. Jahrhundert zunächst als einen reinen Wartturm zur Sicherheit der Bevölkerung errichtet hat.
Grundrissplan der aus der Mechthildiskapelle zum Heiligen Kreuz hervorgegangenen evangelischen Kirche, die 1701 nach Westen und 1756/57 nach Osten auf ihre heutige Größe erweitert wurde. Südlich des Gotteshauses steht der mit einer Mauerdicke von 2,80 m und einer Gesamthöhe von 47,80 m mächtige Kirchturm, der anfangs des 15. Jh. erbaut wurde und als Bergfried der Burg bzw. Wehrturm der Stadtbefestigung diente. (Zeichnung: Hans Werner Büchel nach dem Plan von Martin Klewitz in Stadt Ottweiler - Rheinische Kunststätten, Band 374, Seite 10)
Man erreicht heute das Innere des wuchtigen Bauwerkes , wenn man der überdachten Treppe an der Südseite der Kirche folgt, und in dem zwischen Turm und Gotteshaus eingezwängten Türmchen über eine Wendeltreppe hochsteigt. Der Nassau-Saarbrücker Generalbaudirektor Friedrich Joachim Stengel hat in den Jahren 1756 / 1757 diesen Aufgang geplant und dabei auch das Türmchen mit einer Wandstärke von nur 18 Zentimetern eingebaut. Auf der Ebene 1 steht der Besucher auf einem sogenannten Klostergewölbe, in dem ein quadratischer Schacht mit einer Seitenlänge von 60 Zentimetern den Blick in das darunter vermutetet Verlies ermöglicht. Einer Überlieferung folgend soll sich im Turm zu Ottweiler ein fürchterlich Gefängnis befunden haben.
Für die Bewachung des Turmes und der eventuell hier einsitzenden Gefangenen war der Turmwächter oder Türmer verantwortlich. Er gehörte zu den gräflichen Bediensteten und musste ein zuverlässiger, entschlossener und pflichtbewusster Mann sein. Jeder Bürger trug mit vier Pfennigen an die gräfliche Rentkammer zur Besoldung des Türmers bei, der morgens und abends sowie an besonderen Feiertagen mit seinem Horn Choräle vom Turm zu spielen hatte. Zu seinen besonderen Aufgaben gehörte erhöhte Wachsamkeit gegenüber Naturkatastrophen oder Gefahren durch Feuer oder kriegerische Handlungen. Drohte derartiges Unheil, steckte er Pechfackeln am Turm aus und warnte die Bevölkerung über die Sturmglocke. Wichtig waren auch die Bewachung und Instandhaltung der im Turm gelagerten Pechpfannen, Pechfackeln und Feuerwaffen. Die Türmerstube war im Bereich der Wehrplattform und der von dort aus erreichbaren Wichhäuschen und sogenannten Pechnasen eingerichtet.
Es ist anzunehmen, dass bereits die Kirche des Terentiusklosters und die dem heiligen Johannes geweihte Pfarr- und Taufkirche jeweils eine größere und kleinere Glocke besaßen. Vermutlich hing bis zum Jahre 1702 im Turm an der Mechthildiskapelle nur das berühmte Silberglöckchen, dessen Herstellung sich in das Jahr 1419 datieren lässt. Vom Zeitpunkt der Erweiterung der Kapelle im Jahre 1702 ab, gab es hier immer wieder zwei Glocken, denen 1853 eine dritte hinzugefügt wurde. Große und mittlere Glocke mussten 1914 zu Rüstungszwecken abgegeben werden. Im Jahre 1921 fanden drei Stahlglocken Platz im wuchtigen Kirchturm, das Presbyterium verkaufte leider das Silberglöckchen an die Filialgemeinde Leopoldsthal, wo es auch heute noch in „Betrieb“ ist. Im Zuge der umfangreichen Renovierungsarbeiten am Turm der evangelischen Kirche wurde dann auch ein neues Geläut für die Gemeinde angeschafft. Gegossen bei der Firma Petit & Gebrüder Edelbrock, Glocken- und Kunstgießerei in der Glockenstadt Gescher unweit von Münster in Nordrhein – Westfalen, wurden die drei Bronzeglocken am Pfingstsonntag, 11. Mai 2008 im Rahmen einer festlichen Veranstaltung im historischen Bergfried untergebracht.
Im Bereich des Turmhelmes fanden im Jahre 1954 26 Glocken eines Glockenspiels ihren Platz. Ab 1984 setzte sich vor allem der verdiente Ottweiler Mitbürger Professor Dr.-Ing. Arnold Peiter für eine Renovierung, Erweiterung und zeitgemäße Steuerung des Glockenspiels ein, das nun auch einen entsprechendes Platz im Bereich des neuen Glockenstuhles gefunden hat.
Die Stadtverwaltung in Ottweiler, lange Zeit Eigentümerin des imposanten Bergfrieds, übergab das Bauwerk im Jahre 1897 als Geschenk der Evangelischen Kirchengemeinde Ottweiler und ließ im Jahre 1921 hier eine mechanische Uhr einbauen, die 1998 auf elektrischen Betrieb umgestellt wurde. Trotz aller technischen Ergänzungen ist bis heute die Tatsache geblieben, dass die Hämmer der städtischen Uhr die Zeit mit Hilfe der kirchlichen Glocken angeben. Möge das frühere mechanische Uhrwerk im Innern des mächtigen Bergfrieds, dessen Helm, die älteste erhaltene Holzkonstruktion des Saarlandes darstellt, die Erinnerung an längst vergangenen Zeiten wach halten.
Quellenangaben:
Das linke Bild zeigt die Figur 69 "Schema eines Berchfrits" auf Seite 86 der "Großen Burgenkunde" von Otto Piper. Erläuterungen des Burgenkundlers zum Bergfried in diesem Werk dienten im bauhistorischen Gutachten von 2006 als Grundlage des Vergleichs mit dem Ottweiler Wehrturm. Dabei sind die übereinstimmenden Merkmale nicht nur rein äußerlich, sondern bis in einzelne Dimensionen, wie Mauerdicke oder Raumhöhen, sehr auffallend. Im Bild rechts ist zum Vergleich eine Planzeichnung des Wehrturms zu sehen, die nach exakter Vermessung des Turms im Jahre 2006 vom Architekten Dieter Groß angefertigt wurde.
Es liegt nahe, dass um die Burg herum ein Weiler entstand, das stetig erweitert wurde und in der Zeit der Stadtwerdung mit einer massiven Stadtmauer umschlossen war. Den Verlauf dieser Stadtmauer kann man in großen Teilen noch heute nachvollziehen. So sind etliche Häuser entlang der Tenschstraße direkt an die Stadtmauer angebaut und hinter dem alten Nonnenhaus, dem heutigen Haus Goethestraße 8, ist noch ein großes Stück der originalen Stadtmauer erhalten geblieben. Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, als Ottweiler mit dem Freiheitsbrief Kaiser Karl V. die Stadtrechte erlangte, ergab sich ein weitgehend geschlossenes Bild einer kleinen, durch eine Mauer nach außen geschützte und mit mehreren Türmen bewehrte Stadt. Durch zwei bewachte Tore gelangte man in die Stadt hinein oder aus ihr heraus. Vor den beiden Toren und damit außerhalb der geschützten Stadt, erweiterte sich Ottweiler durch zwei bebaute Straßenzüge, die Linxweiler Vorstadt im Norden und die Neumünster Vorstadt im Süden. Demzufolge wurde aus den beiden Stadttoren das »Linxweiler Tor« und das »Neumünster Tor«.
Die in der alten Urkunde von 1393 enthaltene Beschreibung Ottweilers mit Schloss, Burg und Vorburg gab immer wieder Anlass zu verschiedenen Spekulationen über den baulichen Zustand und den Häuserbestand im ausgehenden Mittelalter. Vor allem die Vorburg bereitete Nachdenken, weil sie in den Archiven nirgendwo erwähnt oder beschrieben wird. Vom französischen "le bourg" leitete man die Bedeutung "Marktflecken" ab und nahm an, die "Vorburg" wäre somit gleichbedeutend mit Vorstadt (frz. "faubourg").
Reste des Linxweiler Tores, die bei den Arbeiten in der Goethestraße 1991 freigelegt wurden. Trotz umfangreicher Sicherungsmaßnahmen stürzte das alte Gemäuer im Juni 1992 in sich zusammen. Foto: hwb 1991
Erst bei einer großen Tiefbaumaßnahme im Bereich der Goethestraße gewannen Fachleute in den 1990er Jahren konkrete Erkenntnisse zu einer Vorburg und auch zu einem sog. Vorwerk als einer Erweiterung der Stadtbefestigung, die vor der Stadtmauer und also auch vor der Burg lagen. Zwar waren "Kellerräume" unter der Goethestraße bekannt, nicht aber, welche Bedeutung sie hatten. Diplom-Ingenieur Ralf Schneider, Rottenburg, wies 1994 nach, dass die vermeintlichen Kellerräume die Joche einer vollständig erhaltenen Brücke aus dem Mittelalter waren. Damit wurde auch klar, dass der in früheren Zeiten aus der Stadt herausführende Weg deutlich tiefer lag, als die heutige Goethestraße. Etwa eine Geschosshöhe beträgt diese Differenz.
Im Zuge dieser Untersuchungen konnte Ralf Schneider auch die Vormauer zur alten Burgmauer lokalisieren und unter der Goethestraße eine weitere, drei Meter Dicke Mauer nachweisen, die vermutlich zum Zwinger der Vorburg gehörte. Als Zwinger wird in der Burgenkunde der Raum zwischen der eigentlichen Burgmauer und einer weiteren, dieser vorgelagerten Mauer bezeichnet. Ralf Schneider stellte auch die Sohle eines Grabens fest, der sich rund vier Meter unter dem heutigen Niveau der Goethestraße bis zum Einmündungsbereich der Illinger Straße hinzog. Möglicherweise wurde durch diesen Graben ein Bereich der Vorburg vom freien Feld getrennt. Man konnte nur über die hohe Brücke den Graben queren, womit sich der heute noch bekannte Straßenname "Hombrück" als "Hohe Brücke" erklären ließe.
Die Zeit der Fürsten und das Ende der Feudalherrschaft in Ottweiler
Nach der Reformation war die politische Lage im Europa des 16. Und 17. Jh. gekennzeichnet von der anhaltenden Feindschaft zwischen Habsburg und Frankreich, der Bedrohung der Christenheit durch die Türken und den wachsenden Spannungen zwischen dem Protestantismus und Katholizismus, die in den Auseinandersetzungen der evangelischen Reichsstände und der katholischen Fürstenpartei der Liga ihren Ausdruck fanden und schließlich zum Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648 führten. Graf Albrecht, der die Reformation in Ottweiler durchgeführt hatte, war am 11. November 1593 gestorben, die Grafschaft Nassau-Weilburg-Ottweiler unter seine Söhne Ludwig, Wilhelm und Johann Kasimir aufgeteilt worden. Wilhelm und Johann Kasimir starben mit 26 und 24 Jahren sehr jung, sodass Ludwig ab 1605 die Grafschaften seiner Brüder zufielen und er danach alle nassauischen Besitzungen in der Hand hielt. Schon Graf Ludwig erlebte in der Endzeit seiner Regierung den Beginn der großen Kriege in Europa, sein Sohn Wilhelm Ludwig bekam sie ganz unmittelbar zu spüren. Mitte Juli 1635 musste er nach dem Einmarsch der kaiserlichen Truppen mit seiner Familie nach Metz fliehen, wo er 1640, erst 49-jährig, verstarb. Ein Jahr später kehrte die Witwe Anna Amalie nach Ottweiler zurück. Ihr Sohn Johann Ludwig erbte 1859 das Amt Ottweiler und wurde so zum ersten Grafen der Grafschaft Nassau-Ottweiler. Doch schon unters seinem Sohn, dem Grafen Friedrich Ludwig endete mit dessen Tod 1728 die Linie Nassau-Ottweiler im Mannesstamm. Die Ottweiler Grafschaft fiel an Nassau-Usingen, das zu dieser Zeit von Fürst Wilhelm Heinrich von Nassau-Usingen regiert wurde. Dessen 1718 in Usingen geborener Sohn gleichen Namens wurde 1741 Fürst und Regent der Grafschaft Nassau-Saarbrücken, zu der auch das Gebiet der vormaligen Grafschaft Ottweiler gehörte.
Die Grafschaft Nassau-Saarbrücken umschloss den Kern des in späteren Zeiten entstandenen saarländischen Industriereviers. Im heutigen Saarland entsprechen diesem Revier der Regionalverband Saarbrücken und der Landkreis Neunkirchen mit ihren zahlreichen Steinkohlegruben, den Eisenhütten und Glashütten. Politisch war die Zeit geprägt von der Endphase des Ancien Régime, des von den Bourbonen beherrschten alten Frankreichs, und den grundlegenden Umwälzungen dieses großen Staates, die schließlich im Jahre 1789 zur Französischen Revolution führten.
Bild links: Fürst Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücken (1718-1768)
Bild unten: Das Allianzwappen des Hauses Nassau
Die Judenpolitik des Hauses Nassau-Saarbrücken
Fürst Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücken war der bedeutendste Herrscher des Hauses Nassau. Als Vertreter eines aufgeklärten Absolutismus stand er in Religionsfragen dem Protestantismus, dem Katholizismus und dem Judentum gleichermaßen offen und tolerant gegenüber. Wann genau die ersten Juden in die Grafschaft einwanderten, ist nicht bekannt, jüdische Familien hatten sich in der Großregion jedoch schon sehr früh niedergelassen. Nachdem die ersten jüdischen Gemeinden in den Wirren der Völkerwanderungszeit ab dem 5. Jh. wieder untergegangen waren, gab es bereits im frühen Frankenreich ab dem 6. Jh. nördlich der Alpen wieder jüdische Gemeinden. Sicher belegt sind sie in dieser Zeit in Köln und Trier.
Die Beziehungen zwischen der fürstlichen Obrigkeit und der jüdischen Bevölkerung standen rechtlich auf der Grundlage der Judenverordnung, die am 27. Februar 1732 für die Grafschaft Nassau-Saarbrücken erlassen wurde, von den Herrschern aber nie angewendet wurde. Stattdessen stellte die herrschaftliche Verwaltung Schutzbriefe für die sich in der Grafschaft niederlassenden Juden aus. Bis zum Jahre 1764 hatten sich im Bereich des Oberamtes Saarbrücken 56 jüdische Personen niedergelassen, wie die „Berufs- und Einwohnerstatistik der Gesamt-Grafschaft von 1764“ belegt. Die für diese eingewanderten Juden ausgestellten Schutzbriefe hatten folgende wesentliche Bestimmungen zum Inhalt:
Bild rechts: Eigenhändig geschriebene Anweisung des Fürsten Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücken für den Hoffaktor Salomon Alexander
Das Ausstellen von Schutzbriefen konnte in der Praxis allerdings auf eine Rechtlosigkeit der Juden hinauslaufen, denn die in den Judenverordnungen enthaltene Aufenthaltsgarantie fehlte hier.
Als Kontaktpersonen zwischen den Herrschern und der Judenheit fungierten die Judenvorsteher, auch Barnes genannt, die vom Fürsten bestimmt wurden. Im Jahre 1782 wurde von Fürst Ludwig, der nach dem Tod seines Vaters Wilhelm Heinrich 1768 die Regierungsgeschäfte in der Grafschaft Nassau-Saarbrücken übernommen hatte, Beysach Khan zum Oberbarnes in Neunkirchen bestimmt, zugleich gab es auch in Ottweiler den Oberbarnes Aaron Weiler, der dieses Amt seit 1780 bis zur Französischen Revolution 1789 innehatte. Fürst Ludwig floh im Mai 1793 vor den in seine Grafschaft einrückenden Revolutionstruppen ins Kurmainzer Exil nach Aschaffenburg, wo er im Alter von 48 Jahren nur ein Jahr später verstarb. Sein Sohn Heinrich Ludwig war zwar als Erbprinz für die Regierungsübernahme vorgesehen, konnte das Fürstenamt aber in der von den Franzosen besetzten Grafschaft nicht mehr antreten. Die Zeit der Grafen und Fürsten und zugleich die Feudalzeit insgesamt hatten ein Ende.
Bild oben: Dekret Wilhelm Heinrichs von 1755 über die Bestellung Löw Beer Isaak als Hof- und Kammeragent
In der Gesamtbewertung der Beziehung zwischen der Obrigkeit unter den Fürsten Wilhelm Heinrich und Ludwig und der jüdischen Bevölkerung zeigt sich, dass die Juden für die Herrschaft in erster Linie ein ökonomisch nutzbarer Faktor waren. Die Juden waren keine normalen Untertanen, vielmehr sind Tendenzen erkennbar, sie vom Staatsvolk abzugrenzen.
Der letzte Herrscher im Hause Nassau-Saarbrücken: Fürst Ludwig, geboren am 3. Januar 1745 in Saarbrücken und nach seiner Flucht vor den französischen Revolutionstruppen in das kurmainzische Exil am 2. März 1794 in Aschaffenburg gestorben. Ludwig hatte am 30. Oktober 1766 die damals erst 15-jährige Wilhelmine von Schwarzburg-Rudolstadt geheiratet. Diese legitimer Ehe verlief allerdings unglücklich. Bereits früh nahm Ludwig eine Beziehung mit der Mätresse Frederike Amalie Dern, seit 1770 Freifrau von Dorsberg, auf, aus der zwei uneheliche Kinder hervorgingen, die erst am 20. November 1781 durch Kaiser Joseph II. als ehelich legitimiert wurden.
Bild oben: Fürst Ludwig von Nassau-Saarbrücken (1745-1794) · Bild rechts unten: Das Wappen des Fürsten
Am 1. September 1774 schloss Ludwig eine sog. morganatische Ehe (»Ehe zur linken Hand«) mit Katharina Kest, die auch unter dem Beinamen "Gänsegretel von Fechingen" bekannt wurde. Diese Verbindung wurde 1787 durch eine ordentliche Eheschließung »zur rechten Hand« legitimiert. Insgesamt zeugte Ludwig neun Kinder, von denen der erstgeborene Sohn Heinrich Ludwig durch seine legitime Ehefrau Wilhelmine von Schwarzburg-Rudolstadt zur Welt gebracht wurde. Frederika Luisa und Carl Philipp wurden von der Mätresse geboren und schließlich die Kinder Ludwig Albrecht, Ludwig Carl, Luise, Heinrich, Ludwig und Luise Katharina von der seit 1781 legitimen Ehefrau Katharina Kest.
Diese etwas ausführliche Beschreibung des ehelichen Lebens eines Feudalherrschers soll die Gegensätze zu den Eheleben der ihnen ergebenen Untertanen verdeutlichen.
Wird fortgesetzt. hwb · 05.11.2023
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